Totgesagte leben länger – oder sind länger tot. Je nach Sichtweise. In unserem Fall ist das Opfer die gute, alte Rockmusik und unsere redaktionseigene U2- und AC/DC-Aficionada Laura Fiegenschuh rechnet mit dem Schlimmsten:
Neulich auf der Autobahn. Ich war unterwegs im zähen Verkehr des Ruhrgebiets und hörte Radio. Gerade wurde von Jan Delay berichtet. "Von dem hast du schon lange nichts mehr gehört!", dachte ich. Nur was dann als Einspieler zu hören war, gefiel mir gar nicht. Der Hanseat wolle mal was Neues ausprobieren und würde im April ein Album mit dem Titel "Hammer und Michel" herausbringen. Ein Rock-Album! Ernsthaft? Und die Single-Auskopplung "Wacken" soll der erste Vorgeschmack darauf sein. Hilfe!
Zugegeben, ich habe den näselnden, aufgedrehten, kleinen Hip-Hopper schon mehrfach live gesehen und ihn immer vor seinen Hatern in Schutz genommen. Auch bei Rock am Ring oder anderen Festivals ist er eine willkommene Abwechslung. Aber das ... das geht zu weit! Herr Delay sieht mit seinem weißen Anzug in Wacken nicht nur deutlich deplatziert aus (was ganz bestimmt gewollt ist), es ist vor allem definitiv kein Rock, was er da macht. Darf denn heutzutage JEDER seinen Stil Rock nennen, bei dem eine Gitarre im Hintergrund zu vernehmen ist?
Schon unser Schlager-Opi Heino hat sich mit der Verschandlung von Titeln der Ärzte und Rammstein unbeliebt gemacht. Ja, beim ersten Hören war das vielleicht noch ganz lustig. Aber sich als besonders harter Metaller in Funk und Fernsehen darzustellen oder tatsächlich auch einer zu sein, sind zwei Paar Schuhe. Wird das Genre Rock nur noch benutzt, um mal "was Neues" zu machen?
Was ist mit den wahren Rocklegenden, die für die Musik leben? Sowohl die Stones als auch AC/DC, die übrigens ab Mai im Studio sind, rocken selbst in fortgeschrittenem Alter noch jede Bühne – weil sie Spaß daran haben. Und das sieht man ihnen auch an. Bands wie Nirvana, The Beatles, Led Zeppelin oder The Who findet man doch heutzutage nicht mehr. Und selbst die Vertreter der "jungen Generation" wie Volbeat, Royal Republic, Billy Talent oder die Arctic Monkeys sind auch schon alle seit mehr als zehn Jahren im Geschäft.
Daher komme ich nicht umhin zu fragen: Stirbt Rock aus? Müssen wir aufgrund von geldeintreibendem Elektro-Gedudel à la David Guetta und Weichspüler Musik von One Direction bald ganz auf richtigen Rock verzichten?
"Ich hab Eier so groß wie Kürbisse und 'nen Mittelfinger für eure Bedürfnisse", singt Jan Delay in seinem aktuellen Song. Na ja, warten wir mal ab, wie das Album so ankommt und ob die Eier dann immer noch so groß sind. Falls nicht: "Wozu der ganze Schwermut, hör lieber zu, blick nach vorn und fühl dich sehr gut." So heißt es in einem seiner Songs mit den Beginnern, die so viel besser zu ihm gepasst haben als Wacken. (lf)