Sie ist eine Frau der leisen Töne, Tina Dico. Konsequent also, dass sie neues Album "Whispers" nennt. Dennoch schafft es die Dänin, die ankerlos in Kopenhagen, Berlin und London lebte, ihr Publikum selbst mit den leisen Tönen zu erreichen. Und dabei versteckt sich hinter der frischgebackenen Mutter und Neu-Isländerin eine folk-rockige Songwriterin, die zu den erfolgreichsten Musikerinnen Dänemarks zählt. Nach Ausflügen in Pop- und Elektro-bereicherte Musik, erzählt sie nun – nur von ihrer Gitarre begleitet – zerbrechlich-gefühlvoll Geschichten, die ihr Leben sie schreiben lässt. Andreas Babiak hat sich die Platte angehört und war überrascht, mit wie wenig man Lieder ehrlich rockig klingen lassen kann.
Sie hat ihr neues zu Hause gefunden. Auf Island. Zwischen Meer und lavaspuckenden Vulkanen. Über den Winter und ihre Schwangerschaft hinweg hatte sie viel Zeit, mit ihrem Ehemann Helgi Jonsson an ihrem neunten Album "Whispers" zu arbeiten. Dabei hat sich Dico aber nicht einfach wieder dem Muster bedient, dass sie auf ihrem Vorgängeralbum "Where do you go to disappear?" nutzte. Nein, sie hat sich stark reduziert. "Ein Sänger mit einer Gitarre – nichts hat mich mehr inspiriert", erklärt sie. "Das Intime, das Storytelling, diese spezielle Gewichtung, das Ausbleiben von vordergründigen Attitüden und von Bühnen-Inszenierungen des Performers und der Musik, lässt nichts übrig, hinter dem man sich verstecken könnte. Was bleibt ist ein Mensch mit einem Song."
"The Woman Downstairs" ist der ruhig-akustische Opener des nur zehn Songs umfassenden Albums. Es ist einer der Tracks, die Dico für den dänischen Film "En du elsker" geschrieben hat. Schon ihr Album "The Road To Gävle" war um den Soundtrack für einen Film herum entstanden – beim Aufnehmen erfüllte sie sich einen großen Traum, denn sie spielte die Nummer in Jimi Hendrix‘ Electric Ladyland-Studios ein. Der legendäre Gitarrist beeinflusste die Dänin schon als Kind.
Hört man ihr in Interviews zu, war ihre größte Angst, ein Stück zu schreiben, in dem sie die Liebe zu einer Frau besingt. Sie musste sich erst frei machen: "Ich offenbarte beim Schreiben weiterhin mein Herz, aber ich schrieb diesmal ungeachtet der Eitelkeiten und der Selbstzensuren, die mir oft im Wege standen, wenn ich über mein eigenes Leben schrieb." Die neue Perspektive – nämlich die aus der Sicht eines Mannes – sei befreiend gewesen für die frisch Verheiratete.
Einer der wichtigen Säulen in diesem Album ist der Country-angehauchte Track "As Far As Love Goes". Und hier zeigt Dico was sie kann: zwischen dieser ruhigen und gefühlvollen Nummer spielt sie ihr E-Gitarren-Solo und verleiht dem Stück so mehr Tiefe. Es ist wohl eines der schwersten Kunststücke für jeden Künstler, eine bluesige Rockgitarre in einen akustisch-ruhigen Song einzubauen, so dass man nicht die Atmosphäre des Liedes zerstört, sondern dem Track ein weiteres passendes Charaktermerkmal hinzufügt. Dico schafft das.
Richtig erfolgreich war Dico bisher allerdings nicht, zumindest nicht in den Charts. Außer in Dänemark, dort steht ihr aktuelles Album nun auch auf Platz 1 der Charts. Doch so langsam wird auch Deutschland warm: Ihre Single "Someone You Love", die ebenso akustisch und sacht ist, aber Züge einer Hymne hat, wird auch im deutschen Radio gespielt.
Dico lebt in einem Haus an Islands Küste, in dem sie oft am Fenster sitzt und auf die romantisch-kühle Meeresküste blickt. Dort entstanden auch ihre zarten Nummern wie "Drifting" oder "Mines". Die aufkommende Schwermut und das Fernweh, das diese Lieder treibt wird jäh unterbrochen vom beatlastigeren Albensoundtrack "Whispers". In einer Welt, in der man nur noch auffällt wenn man noch lauter als der Lauteste brüllt, fragt Dico: "What happened to the whispers?". Einer der raren Songs die durch die schroff gespielte E-Gitarre definiert sind.
Das Highlight ist "You Don't Step Into Love". Dico verbindet intelligente und ehrliche Texte mit magischer Musik: Sie musste die Nummer aufgrund der Harmonien an einem Stück aufnehmen, ein genialer Folk-Song, angereichert mit einer toll inszenierten Rockgitarre, mit einer Stimme, die so hervorsticht und so sicher sitzt, dass man sich wundert, warum diese Frau nicht viel mehr Erfolg hierzulande hat. Auch der Text überzeugt: "I´ve fallen from many terrifying heights / Fallen like a feather and like a stone / I´ve fallen hand in hand with many Mr. Rights / But mostly I´ve fallen alone / You don´t step into love / You fall."
Erwähnenswertes ist auch "Old Friends", ein Sommerabend-Song, in dem sie darüber singt, dass sie ihre Freunde aus Dänemark, London und Berlin immer noch braucht und sie auch nie vergessen wird. Doch auch Dico schafft es nicht diese starke Stimmung in alle Lieder zu transportieren. Beim vorletzten Stück "I want you" wirkt das Ganze nicht mehr so ehrlich wie bei den vorangegangen Nummern. "Thank you" schließlich ist ein fast unwürdiges Ende für dieses starke Album: textlich zu flach, musikalisch zu leidenschaftslos.
Die Platte erinnert an die ersten Werke von Tina Dico – einfach, schlicht, sie und ihre Gitarre. Mittlerweile aber so ausgereift und selbstbewusst, dass es ein Genuss ist der Dänin dabei zuzuhören. Sie kann flüstern – so, dass man ihr immer noch gerne zuhört. Ihr Flüstern ist lauter als jede schreiende Rockband. Auf "Whispers" inszeniert sie mit den einfachsten Mitteln Lieder, die sie mit ihrem Talent zu zeitlosen Stücken werden lässt. Gespickt mit rockigen Elementen und guten Texten. Und wenn die Kollegin Lena Zschirpe schon schreibt, dass Dico "sich gekonnt auf den Spuren von Größen wie Bob Dylan oder Joni Mitchell" bewegt, dann hat sie recht damit. Zwar hat Dico in den deutschen Charts kaum Erfolge zu verbuchen, doch es heißt heutzutage wohl schon viel mehr, dass einige ihrer Deuschland-Konzerte für November bereits restlos ausverkauft sind. Wir empfehlen: Karte sichern und sich flüsternd überraschen lassen. (ab)